Mittwoch, 31. Dezember 2014

Der Anfang

Der Anfang...


Dexter ist schon ganz großes Kino...mittlerweile 2,5Jahre alt und immer wieder so wahnsinnig "weise"und reif...

Vor ca. 2 Jahren kam er zu mir, mehr oder minder aus dem Nichts, sehr spontan. Ich hatte seit Jahren nichts mehr mit Pferden zu tun, hab den Umgang mit ihnen aber immer vermisst. Zwischenzeitlich hatte ich mal- eher aus allgemeinem Interesse, nicht aus der spezifischen Suche heraus, diverse Pferdeverkaufsanzeiger durchblättert, aber nichts hat mich in irgendeiner Weise berrührt; den Wunsch, ein Pferd zu finden, habe ich mit vermeindlichen Vernunftsargumenten an Seite geschoben (Zeit, Finanzen...).

Ich habe noch Meerschweinchen, arbeite dort ehrenamtlich im Tierschutz, leiste in erster Line dort Aufklärungsarbeit, wieder mal was die Themen Fütterung und Platz anbegeht, und dass es eben keine Kuscheltiere sind. Könnte man nahezu 1:1 aufs Pferd übertragen, wenn man "Kuscheln" durch "Reiten" ersetzt. Irgendwann, an einem Abend im November, habe ich mich schlicht und einfach verklickt und bin auf der Seite einer Tierschutzorganisation gelandet, die Pferde vermittelt. Und dort hängen geblieben.

Ich musste erstmal lesen, was da Zuchttechnisch mit den Noriker-Pferden in Österreich passiert, war mir bis dato nicht bekannt, auch nicht, wieviel Subventionen dahinter stecken. Auf der Seite schauten mich vier Fohlen an, fixer Schlachttermin in wenigen Tagen. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen.

Am nächsten Tag beschloss ich, dass diese jungen Tiere nicht in die Wurst dürfen, und beschloss wagemutig zu handeln. Kurzes Gespräch mit Sandra, die mir Unterstützung garantierte- alleine traute ich mich doch nicht an ein so junges Tier, kurzes Gespräch mit der Stallbesitzerin- alles kein Problem. Kurzes Telefonat nach Österreich, wo ich einen Bauer, irgendwo mitten auf der Alm am anderen Ende der Leitung hatte, kurzes Gespräch mit Transportunternehmen, am Abend noch ne Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Ich hatte an einem Sonntag ein Pferd gekauft. Mal eben so. Ich konnte selber nicht fassen, wie schnell und reibungslos alles ging.

Dexter hörte ich quasi durch das Bild rufen, schreien, bitten um Hilfe. Eine knappe Woche später, es war noch nichtmal eine, aber sie kam mir länger vor, als jede andere Woche in meinem Leben, stand ich dann vor dem elenden Haufen Pferdchen- mein Pferd. Dexter, objektiv betrachtet, in einem grauenhaften Zustand. Völlig verdreckt, verklebtes Fell, nass, reste vom Fohlenflaum die sich verfiltzt hatten, überbaut hoch 100, viel zu dünn, Fehlstellungen der Hufe, der leerste und trübste Ausdruck in den Augen, den ich jemals bei einem so jungen Tier gesehen habe. Jeder, wirklich jeder in diesem Betrieb, der sonst eigentlich durch Blindheit in allen Bereichen hervorsticht konnte dieses Leid wahrnehmen- nur ich nicht, vor lauter Zuneigung, was auch rückblickend betrachtet schon seine Berechtigung hatte.

Dexter kannte nichts, viel zu früh von seiner Mutter entwendet, hatte Angst, ein Halter anzuziehen, Möhrchen wollte er lutschen bzw. aussaugen, er kannte keine. Ihm nicht bekanntes Futter nahm er nicht, überhaupt nahm er kein Futter aus menschlicher Hand, Anbinden endete in Panikattacken, Sandra und Ich putzen ihn meistens, indem ihn Sandra lange locker festhielt und ich ihn vorsichtig putzte. Dexter stand schon einige Tage oder Wochen in Anbinde bzw. Masthaltung. Die Angst war nachvollziehbar. Bürsten und Putzen kannte er nicht, fand aber schnell gefallen daran. Angst, besonders vor Männern. Eine männliche Stimme irgendwo, und Dexter erstarrte zur Salzsäule. Führen ging nur mit 5 Meter Abstand zu mir, hinter mir, mit gesenktem, ängstlichen Köpfchen.

Der Zustand kommt mir wie eine Ewigkeit vor, obwohl es sich schnell änderte. Und wir irgendwie einen Weg zueinander fanden. Der sich dann nochmals deutlich besserte, nachdem ich begriff, mich endgültig von irgendwelchen Methoden zu trennen, und mit Dexter "unser eigenes Ding", unsere eigene Sprache zu sprechen. Eine ganz simple, deutliche, feine. In dieser Hinsicht ist Dexter der Beste Lehrer, der mir je begegnet ist. Nichts mit Druck, nichts mit ziehen und zerren, nichts mit Zwang. Dexter "funktioniert" quasi mit Bitte und Danke. Auffordern, zeigen, bedanken. Mein Gott, was wurde ich oft belächelt. :-) Was habe ich mir oft anhören müssen, dass das "Püppchen" mit dem schweren Pferd doch niemals zurecht kommen würde. Das tat mir damals sehr weh. Nicht viel später, konnten Dexter und Ich uns dann ins Fäustchen bzw. Hüfchen grinsen, während wir gemütlich und locker von A nach B marschierten, kämpften die anderen.

Nachdem die größten Missverständnisse aus dem Weg geräumt wurden, entwickelte sich Dexter körperlich wie psychisch immer mehr zum wirklichen "Dexter". Zu einem unglaulich feinen, liebevollen und fürsorglichen Kumpel- solange man mit ihm anständig umgeht. Mit 2,5Jahren ist Dexter jetzt schon sowas wie eine Lebensversicherung, ich kann mich in unglaublich hohen Maß auf ihn verlassen.

Ich erinnere mich, gerade wenn ich hier im Forum lese oder auch beim Lesen von Maksidas Buch: "Befreie dein Pferd, befreie dich selbst" an Situtionen, in denen Dexter mir dass selbe erklärt und gezeigt hat "Hab ich dir doch gesagt". ;-) 
Thema Gebiss z.B.
Irgendwann war mal eine Pferdedentistin im Stall. Sie wollte sich auch Dexters Zähne ansehen, und begrüßte uns, kurz nachdem sie die damals noch Box von Dexter betretten hatte, mit den Worten: "Der ist bestimmt schwierig". Ich war irritiert: "Nö, ganz im Gegenteil, wie kommst du darauf?" "Der hat ne Ramsnase, Pferden mit Ramsnase sagt man nach, dass sie schwierig sind." Damit hatte sie sich ihr eigenes Grab geschaufelt. Dexter hielt dann erst still, nachdem ich meinen halben Arm im Pferdemaul hatte, und Zähnchen fühlen sollte. Selbst Schuld, mit so einer Haltung kommt die Dame mir sowieso kein Zweites Mal ans Pferd. Sie erklärte mir, dass er Wolfszähne hätte, die man ziehen müsste irgendwann- wegen dem Gebiss.

Ich stand da verdattert, schaute der Dame beim Einpacken und Abziehen zu, und stand noch lange da, und schaute Dexter grübelnd an, und der wiederrum mich. "Dass kann doch nicht richtig sein...warum musst du Zähne gezogen bekommen zum Reiten?" Ich überlegte hin und her, und verkündete dann irgendwann meinem Pony feierlich: "Ne, so nicht, nicht mit uns. Entweder geht dass ohne Gebiss oder es geht gar nicht, die Zähne bleiben wo sie sind!". Dexter sichtlich mit Stolz erfüllt. Mutti hatte Verstanden.

Irgendwann stand ich mal abends mit Sidepull bewaffnet vor Dexters Box, es waren schwierige Zeiten. Ich wollte das Ding eigentlich nur mal anprobieren, hatte dann aber beschlossen, aus Selbstzweifel heraus, die immer mal wieder aufflackerten, das so ein schweres Pferd mit soviel Kraft dann doch nicht so zu managen wäre, nichtmal zum Spazieren gehen. Ich wollte das Sidepull eigentlich gar nicht anprobieren, und wieder so, wie ich es mitgenommen hatte, nach Hause mitnehmen.

Dexter machte sich so lang es geht über die Boxenwand, und packte- dass macht er eigentlich nicht, sein Sidepull selber aus. "Was haste denn da? Lass mal gucken!" Also gut, ich dass Ding ausgepackt, ihm representativ vor die Nase gehalten. Schwupps, war der Dexter drin, und hetzte mich regelrecht, dass Ding anständig über die Ohren zu ziehen. Dexter stand dann stolz wie Oscar mit dem weichesten Sidepull was ich finden konnte in seiner Box, hapste andere Pferde rechts und links neben ihm weg, die daran schnüffeln wollten- ist schließlich seins. Seitdem latschen wir mit dem Sidepull durch die Weltgeschichte, ich halt die Zügel mittlerweile eigentlich nur mit einer Hand lose fest, und komm mir dabei manchmal schon blöd vor, selbst dass ist manchmal zuviel des Guten. Und immer wieder, beim Spazieren gehen, fällt mir auf, dass Dexter noch besser, noch selbstverständlicher reagiert, so weniger ich mit "Kraft" mache. Mit Zeigen und Reden komme ich viel leichter vorran.

Dexter, und auch Johanna, haben uns lange Zeit klar gezeigt, was sie von gerittenen Pferden halten. Johanna eher mit Angst, Dexter mit Angst oder Aggression, immer aber mit einer klaren Tendenz, uns auf dass, was um uns herum geschied, aufmerksam zu machen. Mit Erfolg und Recht. Ich habe beide Pferde nur bei einer einzigen Situation erlebt, wo sie einen Reiter auf einem Pferd erlebt haben, die beide nicht schrecklich sondern ehr interessant und in Ordnung fanden. Eine Einzige! Von gefühlten Tausenden...

Ich bin Dexter unendlich stolz auf Dexter, dass er seine Ängste überwinden konnte, und vertrauen aufbauen konnte. Und auch dafür, dass Dexter sich in seinem Kern nicht verbiegen lässt und auch ganz genau weiß, dass ich das gut heiße. Das konnte ich in diversen Ställen immer wieder beobachten- behandelt man ihn nicht ordentlich, behandelt er den Menschen auch nicht ordentlich, und im Zweifel, glaubt mir, gewinnt dieser Kampf der Dicke. ;-) 

Dexter weiß genau dass er gehört und verstanden wird, ist eine absolut reine und liebe Seele, zu jedermann und zu jedem Tier. Ich habe Dexter noch nie auf irgendein Lebewesen bösartig oder nur grummelig zugehen sehen. Wo er manchmal dieses wahnsinnig hohe Maß an Selbsverständlichkeit und Empathie herholt, ist mir ein Rätsel.

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